Misraim ist eine Mysterienströmung, die den Manichäismus, die manichäische Schöpfungslehre als Grundstruktur hat. Diese ist nicht von Mani erfunden, der im 3. Jhdt. n. Chr. lebte, sondern von diesem aufgegriffene uratlantische Weisheit, die sich im chinesischen TAO findet und in der nordindisch-religiösen Strömung weitergetragen wurde in den vorderasiatischen Bereich. Der Manichäismus geht wie das TAO von zwei gleichberechtigten kosmischen Strömen aus: dem Licht und der Finsternis. Der wahre Mensch ist der, der beide im Gleichgewicht halten kann.
Der Name Misraim ist die deutsche Sprechform des hebräischen Namens Mizraim. So hieß der Sohn Hams, der ein Sohn Noahs war. Misraim eroberte um 3400 v.Chr. Ägypten, das dann von den Hebräern nach ihm benannt wurde. Von den Ägyptern bekam er den Namen Menes, wobei die Vokale unbekannt sind, die beiden "e" nur eingesetzt sind. Es liegt nahe, dass er Manis genannt wurde. Er war der erste Pharao. Mit dieser Bezeichnung ist der Vollzug der Reichseinigung von Ober- und Unterägypten verbunden. Es ist ein kultischer Vorgang, der die Vereinigung der zwei kosmischen Ströme bewerkstelligt. Diese Ströme im Gleichgewicht zu halten, ist mit dem Aufwachen des Ich verbunden. Durch diesen Pharao Misraim ging dieser alte kultische Strom, der die Tätigkeit des Ich entwickelt.
Dieser Misraim-Mysterienstrom wurde durch den Evangelisten Markus zusammen mit dem ägyptischen Eingeweihten Ormus im Jahre 46 n. Chr. mit christlichen Inhalten neu durchdrungen. Inhalte und Formen dieses Mysterienstromes wurden von den Templern nach Europa gebracht.
In Europa lebten die zwei kosmischen Ströme noch unvereinigt. Die Artusbewegung, die mit der Strömung des Lichtes verwandt ist, verstand es, die kosmische Sternenweisheit zu lesen. Die Gralsbewegung lernt mit den Kräften der Finsternis umzugehen. Hier tritt mit Parzifal das freimaurerische Motiv des 'Sohnes der Witwe' auf. Die Witwe, die den Geliebten nicht mehr vor Augen sieht, sondern ihn im Herzen erahnen muss, vollzieht in ihrem inneren eine Umkehrung der Willenskräfte. Diese können sich nicht mehr nach außen richten, sondern sind als Sinnesorgan tätig. In diesem Sinne bezeichnet sich der im Misraim-Strom arbeitende als 'Kind der Witwe', als ein im umgekehrten Kultus Lebender, dem der Geist aus dem Herzen erblüht.
Die Templer brachten die soziale Fähigkeit mit sich, beide Ströme zu vereinigen. Mit den sozialen Fähigkeiten der Templer geht einher das Wissen der Mysterien um den Menschheitstempel, die Fähigkeit, wie man Bauten aufführt. Durch ihre Kenntnisse entstanden in Europa an den Orten, wo Artus- und Gralsbewegung aufeinander stießen, die gotischen Kathedralen. Den inneren Gesetzen und Harmonien der Schöpfung konnten sie künstlerischen Ausdruck geben. In deren Bauhütten wurde vom Lehrling bis zum Meister das Bauhandwerk erübt. Die Templer selbst pflegten Riten, die heute den Hochgraden der Mauerei entsprechen.
Die Inhalte dieses Mysterienstromes für den Intellekt zugänglich zu machen, ohne den Zusammenhang mit dem inneren Leben zu verlieren, daran arbeiteten die Rosenkreutzer. Mit ihrer künstlichen Vorgehensweise in Laboren leiteten sie den Beginn des wissenschaftlichen Zeitalters ein. Die rosenkreuzerischen Tafeln gingen weitestgehend aus der Symbolik des Misraim-Stromes hervor.
Im Zuge der Vernichtung des Templerordens konnten einige Templer nach Schottland fliehen. Dort konnten sie auch ihre Riten fortsetzen. Es entstanden sogenannte Logen.
Als die Bautätigkeit der Bauhütten, die nunmehr auch Logen genannt wurden und mehr versiegte, entschloss sich
1702 die Loge St.Paul an der Londoner St. Pauls Kathedrale, auch Nicht-Handwerksmaurer in ihre Loge aufzunehmen unter der Voraussetzung, dass es sich um Männer handelte. So entstand dort die sogenannte spekulative oder maskuline Maurerei, die mit stark vereinfachten Riten an die Bauhüttentradition anknüpfte und hauptsächlich philosophisch arbeitete. In dieser Zeit prägte sich der Name Freimauerei. Sie kamen auf die Idee, eine Großloge zu gründen, die bestimmte, dass nur die, die zu ihnen gehören, reguläre Maurer wären. Die Macht dieser Idee geht soweit, dass sich die meisten andere Logen, die meinen, sich davon unabhängig zu halten, sich trotzdem aber freiwillig als irregulär bezeichnen und damit das Machtsystem doch anerkennen.
1771 geht der heilige Annaniah, ein ägyptischer Eingeweihter, der die Lehre des Manes, des Mani vertrat, nach Venedig und weiht Gad Bedarride in seine Kenntnisse ein. Der war ein Kenner der Kabbalah. Eine Mizraim Loge wird gegründet, die auch von Cagliostro gefördert wird.
1775 gründete Cagliostro die sogenannte ägyptische Maurerei. Hier hatten Frauen Zugang innerhalb sogenannter Adoptionslogen. Ein Patent ist erhalten, welches Cagliostro auf den Namen Misraim ausgestellt hat. Einige Jahre später entstand in Anlehnung an den Misraim-Ritus der Memphis-Ritus.
So wurden nun auch vom Süden her Logen gebildet, in denen Nicht-Handwerker teilnehmen konnten, die anders als die von England abhängigen, sich mit einer Art Esoterik des Wortes erfüllten.
Im deutschsprachigen Gebiet fand damals wie heute das Aufeinandertreffen dieser beiden Ströme statt, der eher gedanklich tätigen und der eher wortschaffenden Freimaurer. Es entstanden Impulse für ein erneuertes Geistesleben. Cagliostro berichtet von einer Begegnung mit Goethe in einem Frankfurter Keller während eines Rituals einer Loge, die auch Verbindung hatte zum Grafen St. Germain, zu Carl von Hessen und zu Lavater.
Goethes Märchen von der grünen Schlange und der schönen Lilie enthält weitgehend diesselbe Symbolik wie der Misraim-Ritus. Die sich zum Kreise schließende Schlange ist das Emblem des Misraim-Ritus. Die Maurerei war damals die Bildung der im Geistesleben tätigen Menschen.
Durch die Gegebenheiten in Europa und die seelische Auffassungsgabe der dort vorhandenen Mysterien teilte sich der alte Mysterienstrom der Ich-Erweckung in drei Ströme: den Schottische Ritus, der sich in England und Amerika verbreitete und den Memphis-und den Misraim-Ritus, die sich beide mehr in Italien und Frankreich etablierten.
Der Memphis-Ritus ist eher alchemistisch-rosenkreutzerisch orientiert: sein Inhalt ist die Individualisierung von Formkräften über den Tod hinaus, die Bildung des Steins der Weisen oder auch des Auferstehungsleibes. Die bildenden Künste und die handwerkliche Verwendung der Erdenstoffe gehen aus seinem geistigen Strom hervor.
Der Ritus von Misraim ist eher michaelisch-christlich: in ihm geht es um die Umstülpung des Willens zur Liebefähigkeit ohne Eigennutz. Eine Bewegungs- und Sprechkunst des inneren Wortes ist in Misraim veranlagt. Die Geheimnisse der Lautbildung der Kabbalah sind mit Misraim verwoben.
Der schottische Ritus ist durch die nach Kilwinning in Schottland geflohenen Templer veranlagt worden. Seine Inhalte sind ganz auf die Fähigkeit einer sozialen Kunst orientiert.
Mit dem herannahenden Beginn des Michaelzeitalters fingen Menschen an, an der Vereinigung der Riten zu arbeiten.
Die alten Mysterien der Kabbalah mit den ägyptischen Riten, in die sie eingeweiht war, zusammenzubringen, war ein tiefes Anliegen von Helena Blavatsky. Sie stand seit 1867 im Austausch mit Garibaldi (Foto links). Als Garibaldi 1881 von John Yarker als Großmeister vorgeschlagen wurde, etablierte er den vereinten Ritus von Memphis-Misraim.
John Yarker (Foto rechts), ein damals international sehr angesehener Maurer, war der Dritte im Bunde. Er brachte den schottischen Ritus zu Memphis-Misraim hinzu. Garibaldi ernennt John Yarker zum Souveränen General-Großmeister in und für Großbritannien und Irland der Vereinigten Schottischen, Memphis- und Misraim-Riten.
So gab es nun den Vereinigten Schottischen, Memphis- und Misraim-Ritus.
1873 rief H. P. Blavatsky in Kairo eine "Spirituelle Gesellschaft" ins Leben, die die immer materialistischer werdende Gesinnung der Menschen mit der geistigen Welt wieder verbinden sollte. Diese bricht jedoch nach einem Jahr wieder auseinander und Blavatsky reist nach Amerika.
1875 gründete sie dort zusammen mit den beiden amerikanischen Hochgradmaurern Henry Steel Olcott und William Quan Judge die Theosophische Gesellschaft, die diese Brücke zwischen Mensch und geistiger Welt bilden sollte.
Das Emblem der Theosophischen Gesellschaft wurde aus dem Emblem des Misraim-Ritus heraus gebildet: eine sich zum Kreis zusammenschließenden Schlange.
Durch Vortragsarbeit sollten in diesen Logen der Okkultismus zur Sprache kommen und ein fruchtbarer Austausch von äußerer Wissenschaft und innerer geistiger Forschung hergestellt werden. Eine zweite Stufe bildete die esoterische Schule, die Blavatsky einrichtete. Daraufhin folgte eine rituelle Arbeit.
Eine zentrale Stellung im deutschsprachigen Raum nahm die Wiener Loge des Friedrich Eckstein ein. Er war ein hervorragender Kenner der Geheimlehre Blavatskys und ein Schüler des ausgezeichneten Maurers und Kabbalah-Eingeweihten Kernings. Zu dieser Loge gehörten u.a. Gustav Meyrink, Jules Sauerwein, der Erbgraf von Leiningen-Billigheim (Sekretär der Theosophischen Gesellschaft in Wien).
Es ist davon auszugehen, dass Rudolf Steiner, der täglich mit diesen Menschen verkehrte und von dem auch ein entsprechender Brief an Friedrich Eckstein erhalten ist, circa 1887 in diese Loge eingeweiht wurde. Dort lernte er die Bewegungen der Laute, ihre Farbgebung, Planeten-, Elementen- und Tierkreiszugehörigkeit kennen, wurde mit der Hierarchienlehre vertraut und mit den entsprechenden Gebärden.
In den 90er Jahren erhält Rudolf Steiner die Grade 30°-67°-89°. Seine Unterschrift ist auf einer Urkunde von Memphis-Misraim erhalten.
Nun geschehen Ereignisse, die sich bis auf die Ebene der Volksgeister tragisch auswirkten:
1902 wird Rudolf Steiner zum Generalsekretär der Theosophischen Gesellschaft für die deutsche Sektion gewählt. Er übernahm auch die Esoterische Schule der Theosophischen Gesellschaft für Deutschland, die aber durch Annie Besant eine andere Richtung bekommen hatte, als wie sie zuvor von Blavatsky angelegt war.
Gleichzeitig stiftete Yarker einen Großorient für Deutschland und ernannte jedoch Theodor Reuß zum Souveränen General-Großmeister dafür. Im Obersten Rat befanden sich Carl Kellner (Wien), Heinrich Klein und Franz Hartmann.
1904 hatte Rudolf Steiner den Anschluss an die Vereinigten Riten der schottischen, Memphis- und Misraim Freimaurerei bei Theodor Reuß gesucht. Es ist ein ungeschriebenes geistiges Gesetz, dass für die okkulte Arbeit die Anknüpfung an den physisch getragenen Zeitenstrom notwendig ist. Das hängt mit der Pflege der geistigen Wesen zusammen, die in die kultische Arbeit ihre Wurzeln senken können und die nicht in die Zersplitterung geführt werden sollen.
Am 3.1.1906 ist der Vertrag zwischen Reuß und Rudolf Steiner besiegelt, dass nach den ersten eingetretenen hundert Mitgliedern das Großmeisteramt zu übertragen sei. Reuß umging sein Versprechen, indem er die drei Riten Memphis, Misraim und den Schottischen am 10.9.1906 wieder trennte und damit das wichtige Vereinigungswerk Garibaldis, Blavatskys und Yarkers zerstörte.
Entgegen dem Vertrag setzte Reuss Rudolf Steiner am 15.6.1907 nur zum amtierenden General-Großmeister 33°-90°-96° für den ägyptischen Ritus von Mizraim (90°) ein.
Gleichzeitig wird Annie Besant, die zu einer ganz anderen okkulten Richtung, nämlich dem Droit Humain gehörte, in den sie 1903 eingeweiht wurde, General-Sekretärin der Theosophischen Gesellschaft.
1911 gründet diese einen eigenen Orden: "Star of the East". Gleichzeitig, am
15.12.1911 regt Rudolf Steiner an zu der Stiftung "Gesellschaft für Theosophische Art und Kunst", deren Aufbau okkulte Formen aufweist und deren intendierte Mitglieder den Anschluß zu dem Stifter Christian Rosenkreutz aufsuchen soll.
Am 16.12.1911 ändert er den Namen der okkulten Arbeit in Misraim-Dienst. Damit will er sich von der Freimaurerei abgrenzen.
Der Stiftungsimpuls missglückt innerhalb des Dornacher Kreises, jedoch bekennt sich eine Hamburger Gruppe von Misraim-Mitgliedern zu dem Stifter Christian Rosenkreutz.
Am 17.6.1912 eröffnen sie auf eigene Initiative eine Christian-Rosenkreutz-Loge, die auf öffentlicher und okkulter Ebene arbeitete. Führend tätig in Hamburg war Otto Westphal.
1912 spaltet sich die deutschsprachige Gruppe der Theosophischen Gesellschaft als Anthroposophische Gesellschaft von der Führung in Adjar ab. Die Hamburger Loge führte schon gleich bei ihrer Weihe als erste Loge diesen Namen.
1913 änderte Rudolf Steiner den Namen um in Michael-Dienst. (Mehr dazu)
1914 als der 1.Weltkrieg ausbricht, ist Rudolf Steiner genötigt, um die Arbeit der Anthroposophischen Gesellschaft zu schützen, blaue Logen der Grade 1-3 "schlafen zu legen". Die Arbeit in den Hochgraden ging nachweislich weiter. Dazu zählte auch die Arbeit von Otto Westphal in Hamburg, die in einem Tempelraum im eigenen Haus stattgefunden hat.
Weihnachten 1923 konfiguriert Rudolf Steiner die Anthroposophische Gesellschaft neu und er richtet, um die esoterische Ausbildung zu regeln und Menschen für die okkulte Arbeit vorzubereiten,
1924 die Michael-Schule ein. In die 2. Klasse wollte er die kultische Arbeit integrieren.
1925 durchschreitet Rudolf Steiner das Tor des Todes zum Osten ohne diese Arbeit verwirklichen zu können.
1959 übernahm Lothar-Arno Wilke 33°-90°-96° den Michael-Dienst in allen Graden von Frau Westphal, die diesen nach dem Tod ihres Mannes durchgetragen hatte. Er verantwortete die Riten von Memphis-Misraim. Er war gleichzeitig Vorstand des Christian-Rosenkreutz-Zweiges. Er begann mit der Vereinigung der drei Riten, nachdem diese durch den Krieg wieder in Deutschland frei waren. Christiane Gerges hat dann diese Arbeit fortgeführt.
2011 haben sich die gegenwärtig im Misraim-Michael-Dienst arbeitenden Menschen an Christiane Gerges gewandt, um eine rituelle Arbeit wieder ins Leben zu rufen. Eine Arbeit entstand, die die Metamorphose des 1° des Misraim-Dienstes in die Michaelschule durch Rudolf Steiner berücksichtigt und die durch die wiedervereinigten Schottischen, Memphis- und Misraim-Rituale die Möglichkeit in sich birgt, an den Templerstrom, sowie an die Rosenkreuzerschule anzuknüpfen.